Am 18. September 2016 wird nach fünf Jahren das Abgeordnetenhaus in Berlin neu gewählt. Es wird also Zeit, sich mal in die Wahlprogramme der Parteien einzulesen und nach relevanten Aussagen zur Medienbildung zu suchen. Das hatte ich bereits 2011 gemacht. Im Nachhinein muss ich erschreckt feststellen, wie gering der Stellenwert der Medienbildung damals noch bei einigen Parteien war. So lässt sich nun aber auch überprüfen, was aus den damaligen Versprechen der Parteien geworden ist. Fairerweise geht das natürlich nur bei den Regierungsparteien CDU und SPD:

Wahlprogramme 2011 – Cybermobbing einen Riegel vorschieben

Die CDU konnte nicht viel falsch machen, hatte sie doch 2011 lediglich eine Idee zur Medienbildung im Wahlprogramm:
„Dem Phänomen des Mobbing im Internet (häufig als „Cyber-Mobbing“ bezeichnet) schnellstmöglich ein Riegel“ vorschieben – wurde nicht so wirklich umgesetzt.

Auch die SPD glänzte 2011 nicht unbedingt mit originellen Ideen:

  • „Um die Ausstattung der Schulen mit Computern zur bedarfsgerechten Medienbildung zu verbessern, bauen wir die Kooperation mit Privaten aus.“ War da was?
  • „Wir werden die Anzahl der Kooperationsvereinbarungen zwischen den Schulen und den Bibliotheken zur Leseförderung und zum Erwerb von Medienkompetenz erhöhen, indem wir die Rahmenbedingungen verbessern.“ Ist mir auch nicht bekannt geworden.
  • Immerhin: „Medienkompetenz und kulturelle Bildung und die damit einhergehende Entwicklung sozialer und kreativer Kompetenzen sollen an den Schulen stärkeres Gewicht erhalten.“, ist zumindest in die neuen Rahmenlehrpläne in Form des Basiscurriculum Medienbildung eingeflossen. Welche Unterstützung die Schulen bis zum Inkrafttreten zum Schuljahr 2017/18 zur Implementierung bekommen, scheint aber noch nicht klar zu sein.

 

Medienkompetenzförderung in Berlin – ein Trauerspiel

Wer mir bei Twitter oder Facebook folgt und auch meine Arbeit im Vorstand der LAG Medienarbeit kennt, weiß, dass ich mit der Medienkompetenzförderung der Berliner Bildungsverwaltung in den letzten Jahren nicht besonders glücklich war. Und dies vor allem aus der Perspektive, dass Berlin vor 10-15 Jahren schon mal eine fast eine Vorreiterrolle in Deutschland hatte: mit gemeinsam erarbeiteten Standards für Medienbildung in der Jugendarbeit, mit der Berliner Mailbox Spinnenwerk und zahlreichen Fachtagungen, in denen bereits frühzeitig Medienthemen pädagogisch bearbeitet wurden.

Seitdem herrscht von Seiten der Jugendarbeit eher Stagnation in Form des Programms jugendnetz-berlin.de. Seit Jahren werden hier die bezirklichen Medienkompetenzzentren mit der immer gleichen Summe von 5000 Euro jährlich (!) am Leben erhaltengefördert. Andere Förderprogramme wie „StepsIntoFuture“, bei dem unkompliziert Medienprojekte für 500 Euro beantragt werden konnten und auch die Förderung berlinweiter, vernetzter Projekte wurden weitestgehend eingestellt. Stattdessen setzt die Bildungssenatorin gegen zahlreiche Expertenwarnungen seit 2015 auf ein eigenes Berliner Jugendportal, das 200.000 Euro im Jahr verschlingt und nach Projekthalbzeit absehbar keine besondere Relevanz entfaltet.

Auch auf Schulseite sieht es in Berlin nicht besser aus, sofern dort überhaupt ein Einblick zu erhalten ist, denn selbst der Abgeordnete Thomas Birk von Bündnis 90/Die Grünen erhält 2014 auf eine Anfrage die Antwort, Auskünfte an Außenstehende erteilt die Pressestelle der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Und entsprechend sehen dann auch die Webseiten der Senatsverwaltung zum Thema Schule und Medienbildung aus.

Auf der Senatswebseite zum Thema „Unterrichten mit Medien“ wird nicht einmal der immer wieder beschworene eEducation-Masterplan genannt oder verlinkt. Die neuesten Infos beziehen sich hier auf Open Educational Ressourcen (OER), bestehen aber lediglich auf einer Begriffsdefinition.

Auf der Webseite des Lernraum Berlins, einem berlinweiten Moodle für Schulen (durchschnittliche Logins pro Tag 2014: 1272, bei über 300.000 Berliner SchülerInnen), werden dann auch konsequent die Ziele des eEducation-Masterplan von 2005 zitiert.

Google findet ihn dann doch noch, den eEducation-Masterplan: http://masterplan.be.schule.de/ mit dem letzten Zwischenbericht von 2009. Hier finden sich immerhin die seit 10 Jahren bestehenden Teilprojekte: Roberta mit immerhin 50 teilnehmenden Schulen, das Internetseepferdchen (Berliner Internetführerschein) und eTwinning, das zumindest laut Webseite ein lebendiges Projekt zu sein scheint. Als neues Projekt in den letzten Jahren ist dort „MYOP – make your own product“ dazugekommen: 2013 erhielten zwei der 700 Berliner Schulen einen 3D Drucker und einen 3D Scanner. Da wundert es auch gar nicht, wenn das aktuellste Projekt: „Second Hand IT für Berliner Schule“ heißt.

Die Opposition hat sich hingegen kurz vor Schluss mit dem Antrag „Berlins Zukunft sichern – jetzt Konzept für die Bildung mit digitalen Medien vorlegen“ ein Bienchen verdient.

 

Wahlprogramme 2016 – CDU favorisiert Apple

Aber ab 18. September kann ja nun alles anders werden. Immerhin ist damit zu rechnen, dass die bisherige Koalition aus CDU und SPD nicht fortgeführt werden kann.

Bei meiner diesjährigen Durchsicht der Wahlprogramme habe ich diesmal nur konkrete Umsetzungsvorschläge berücksichtigt. Medienbildung ganz allgemein finden inzwischen alle Parteien wichtig und toll.

In wechselnden Konstellationen finden sich bei allen Parteien gemeinsame Punkte:

  • die Förderung von frei lizenzierten Unterrichtsmaterialien (OER) (Ausnahme.: CDU)
  • Aus- und Fortbildung von Lehrkräften im „Digitalem Lernen“ (Ausnahme: SPD)
  • Die Förderung des Freifunk-Projekts (Ausnahme: SPD und CDU)
  • Zusätzliche Stellen für qualifiziertes Personal insbesondere für IT-Kräfte (Ausnahme: Bündnis 90/Die Grünen)

Einig sind sich alle neben der Weiterentwicklung von Schulen in der Stärkung außerschulischer Lernorte. Dies ist allerdings mit der Aufnahme der Verkehrsschulen, der Jugendkunstschulen und der Gartenarbeitsschulen ins Schulgesetz bereits verabschiedet worden. Nur die bezirklichen Medienkompetenzzentren wurden dabei vergessen. Bündnis 90/Die Grünen sind leider die einzigen, die das gerne ergänzen würden und die Medienkompetenzentren im Wahlprogramm explizit erwähnen.

Darüberhinaus haben die Parteien verschiedene weitere Ideen zur Medienkompetenzförderung entwickelt:

SPD

Dass sich mobile Geräte auch für die Bildung eignen, ist der Berliner SPD noch weitestgehend unbekannt. Hier wird beim bisherigen Kurs geblieben: Ziel ist es, jede Schule mit Whiteboards ausstatten, interessierte Schulen darüberhinaus mit Laptopklassen. Die SPD hat die Stärkung der Jugendarbeit in ihrer dezentralen Struktur und die Stärkung außerschulischer Lernorte im Wahlprogramm verankert, wie bereits beschrieben, leider ohne Medienzentren zu benennen. Informations- und Medienkompetenz wird als Aufgabe der Bibliotheken gesehen.
Man will außerdem die Aktivitäten im Land Berlin zur Steigerung der Medienkompetenz verstärken und eine „einheitliche Anlaufstelle“ schaffen. (Was immer das auch heißen soll, vielleicht eine Medienkompetenz-Hotline?) Der bisher nicht zustande Kooperationsvertrag mit der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, den es in Brandenburg seit einigen Jahren gibt, soll nun wohl doch angegangen werden. Im Wahlprogramm heißt es dazu: „Die Aktivitäten sollen mit der Medienanstalt Berlin-Brandenburg verzahnt werde.“ Und natürlich droht uns mit der SPD „der Ausbau des neuen Jugendportals“.

CDU

Leider ein bisschen zu spät, denn die neuen Rahmenlehrpläne wurden ja gerade (unter CDU/SPD) beschlossen, spricht sich die CDU für „Fachteams zur Überprüfung der Lehrinhalte und Erarbeitung digitaler Möglichkeiten des Wissenserwerbs“ aus. Lernstoffe sollen in Form von Apps die Schulöffentlichkeit erreichen. Gefordert wird eine Schule 4.0 mit WLAN, Whiteboards, Tablets und IT Experten vor Ort. Erstaunlicherweise offenbart der Finanzierungsvorschlag für neue Laptopklassen eine klare Präferenz für Apple, denn „Zur Finanzierung könnten Schulen z.B. dem erfolgreichen Vorbild der Friedrich-Bergius-Schule folgen, die in dieser Frage mit Apple zusammenarbeitet.“ Die Grundlagen des Programmierens sollen altersgerecht erlernt werden. Aus dem Vorschlag einer „einheitlichen Anlaufstelle“ wird bei der CDU die Gründung eines Fachreferats Digitale Bildung bei der Senatsverwaltung.

Bündnis 90/Die Grünen

Eine zentrale Stelle möchten auch Bündnis 90/Die Grünen, hier wird daraus eine „Koordinierungsstelle im Senat zur Steuerung des digitalen Aufbruchs“. Zusätzlich haben Bündnis 90/Die Grünen den begonnen Versuch der LAG Medienarbeit aufgegriffen und möchten einen Runden Tisch Medienbildung unter Leitung des Senats einführen. Programmieren soll in der Schule vermittelt werden, ebenso wie mehr Informationen zu Cybermobing und Gewalt im Netz. Der Informatikunterricht soll durch ethische, datenschutzrechtliche und soziale Fragen weiterentwickelt werden und dies auch mit Angeboten in der Grundschule. Ergänzt werden soll die Medienbildung um die Unterstützung von Eltern durch Angebote der Selbstregulation, Aufklärungs- und Informationskampagnen zu Gewalt im Netz und der Sensibilisierung für Datenschutz.

Die Linke

Als einzige der Partien hat sich Die Linke Gedanken gemacht, wie auch bundespolitisch Medienkompetenz gefördert wird und regt ein Bund-Länder-Programm für digitale Bildung mit Förderung eines mobilen Geräts pro Kind an. Ebenso wie die Abschaffung des Kooperationsverbots. Versprochen wird ein Wettbewerb und die Förderung für Mädchen und Frauen zum Erlernen und kreativen Nutzen von Programmiersprachen und Onlinetechnologien.

Piraten

Die Piraten haben leider nicht mehr viel neues Innovatives beizutragen. Neben den zusätzlichen IT Experten (bei den Piraten „Medienwarte“ gennant“) geht es vor allem um kostenlose Schulungen in Bedienkompetenzen für alle und der Einführung eines Fachs „Medienkompetenz“.

 

Kampagne „Medienbildung jetzt“

Wer sich weitere Inspirationen für den Wahlzettel holen will, sollte noch die Kampagne „Medienbildung jetzt“ beachten. Im Rahmen dieser gemeinsamen Kampagne der GMK Landesgruppe Berlin-Brandenburg und der LAG Medienbildung gab es neben veröffentlichten Wahlprüfsteinen und Fragen an die Parteien am 29.6.16 eine spannende Veranstaltung mit VertreterInnen von SPD, Grünen, Linken und den Piraten. Die CDU blieb sowohl der Veranstaltung fern, als auch die Übersendung der Fragen zu den Wahlprüfsteinen schuldig.

Auf der Kampagnenwebseite findet sich eine Transkription der Gesprächsrunde, die deutlich macht, wo die Medienkompetenzen bei den PolitikerInnen liegen: deutlich bei der bisherigen Opposition und nicht der SPD. Und hier wurde dann auch konstatiert, dass gerade bei der Lehrerausbildung Defizite bestehen und Nachbesserungsbedarf. Und auch auf die Situation der LehrerInnen an den Schulen wird sehr differenziert eingegangen. Während der Vertreter der SPD betont, dass LehrerInnen bei ausreichender Bereitschaft auch genügend Möglichkeiten haben, sich fortzubilden, sehen die VertreterInnen der Opposition die Notwendigkeit, die Arbeitszeiten der LehrerInnen zu verändern, um mehr Räume für innovative Unterrichtsmethoden zu schaffen und auch die Lehrpläne von einigen Inhalte zu entlasten. Einig waren sich zumindest hier alle Beteiligten, dass es sinnvoll ist, die Expertise möglichst vieler Akteure einzubeziehen, ob das nun in Form eines Runden Tischs oder eines vom SPD Vertreter vorgeschlagenen Beirats passiert, ist dann Sache der Koalitionsverhandlungen.

Disclaimer: Als Vorstand und Projektleiter der LAG Medienarbeit bin ich direkt durch die Kürzungen der Mittel für vernetzte Projekte betroffen und deshalb weder objektiv noch unparteiisch. Korrekturen, Kritik und Anmerkungen nehme ich gerne entgegen, per Mail oder in den Kommentaren.

Hier geht es dann zum Update in 2021: Medienkompetenzförderung in den Wahlprogrammen der Parteien zur Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021